Nr. 214 / 24. Juni 2014 RO
Ein Fotoapparat – das war sein Mittel: Der Prager Fotograf Ivan Kyncl (1953-2004) erregte in den 1970-er Jahren internationale Aufmerksamkeit. Ihm gelang es, die Überwachungspraktiken der tschechischen Geheimpolizei heimlich zu fotografieren und Aufnahmen in den Westen zu schmuggeln. Kyncl dokumentierte nicht nur die Verfolgung der tschechischen Dissidenten. Er zeigte auch den Alltag in der CSSR nach der Niederschlagung des Prager Frühlings und rebellierte damit gegen die Normen des Sozialistischen Realismus. Vom 11. Juli bis 17. August 2014 zeigt die Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen knapp 200 Fotografien von Ivan Kyncl im Bremer Rathaus. Zur Eröffnung am Donnerstag, 10. Juli um 19 Uhr in der Unteren Rathaushalle wird der tschechische Botschafter Rudolf Jindrak anwesend sein.
Die Ausstellung präsentiert erstmals einer breiten Öffentlichkeit das Werk von Ivan Kyncl. Sie würdigt den Ideenreichtum und den Mut, mit dem dieser widerständige Fotograf gegen die verordnete Ansicht der „schönen neuen Welt“ des Sozialismus rebellierte. Die Fotografien stammen aus dem fotografischen Nachlass Ivan Kyncls, der im Archiv der Forschungsstelle Osteuropa aufbewahrt wird.
Zum Hintergrund
Fotografien beeinflussen aufgrund ihres scheinbar ungebrochenen Wahrheitsanspruchs unsere Weltwahrnehmung. Die kommunistischen Machthaber, versuchten, die Wahrnehmung des „real existierenden“ Sozialismus mittels Bildzensur zu lenken. Doch zu keinem Zeitpunkt gelang es ihnen, die Bildproduktionen vollständig zu überwachen. Auch wenn „abweichende“ Fotografien in den staatlichen Medien nicht veröffentlicht werden konnten, kursierten sie doch unter Gleichgesinnten in den Zirkeln der „parallelen Kultur“.
Der Dissident Ivan Kyncl
Ivan Kyncl gehörte zu den Unterzeichnern der tschechoslowakischen Bürgerrechtsbewegung Charta 77. Seine Fotografien schrieben in zweifacher Weise Geschichte: zum einen dokumentieren sie die Verfolgung der tschechischen Dissidenten durch das Husák-Regime und zeigen den Alltag sozialer Randgruppen in der CSSR nach der Niederschlagung des Prager Frühlings von 1968. Zum anderen sind seine Fotografien selbst Ausdruck einer widerständigen Praxis. Kyncl gelang es, die Überwachung des repressiven Staatsapparats genau zu dokumentieren und diese Fotos im Westen, etwa in der "Sunday Times" oder im "Stern", zu publizieren. 1980 ging Kyncl ins Londoner Exil und konnte sich dort eine erfolgreiche Existenz als Theaterfotograf aufbauen. Die Ausstellung präsentiert zudem Kyncls späte Fotografien und Reportagen, die nach seiner Emigration entstanden sind und die ihm den Ruf eines "Cartier-Bresson" der Theaterfotografie einbrachten.
Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft von Bürgermeister a. D. Hans Koschnick und kann täglich von 11 bis 18 Uhr besucht werden. Ein dreisprachiger Begleitkatalog wird Anfang Juli erscheinen. Zudem gibt es rund um die Ausstellung ein Begleitprogramm mit Vorträgen und Führungen.
Das Begleitprogram:
5. Juli 2014, Haus der Wissenschaft, 11 Uhr, Vortrag Dr. Heidrun Hamersky: „Der Prager Fotograf Ivan Kyncl - Rebellion mit der Kamera“
10. Juli 2014, 19 Uhr Eröffnung der Ausstellung im Kaminsaal des Rathaus Bremen
24. Juli 2014, Europa-Punkt Bremen, Am Markt 20, 19 Uhr, Vortrag Dr. Marketa Spiritova (München): „Anders denken für Europa? Leben im Dissens und das Erbe der tschechischen Bürgerrechtsbewegung 10 Jahre nach dem EU-Beitritt“
Kuratorenführungen
14. Juli 2014, 17.30 Uhr Untere Rathaushalle, Dr. Heidrun Hamersky
21. Juli 2014, 17.30 Uhr Untere Rathaushalle, Prof. Wolfgang Schlott
28. Juli 2014, 17.30 Uhr Untere Rathaushalle, Prof. Wolfgang Schlott
Studentische Führungen im Rahmen des Projektes „Es war einmal im Kalten Krieg - Fotografie und Protest im Staatssozialismus“. Die Führungen richten sich besonders an Schulklassen und Jugendgruppen, aber auch an Erwachsene. Dauer der Führungen: 90 Minuten.
Führungen für Einzelpersonen und freie Gruppen gibt es täglich um 15 Uhr; Treffpunkt am Tresen in der Ausstellung.
Achtung Redaktionen: In der Uni-Pressestelle ist unter der E-Mail presse@uni-bremen.de Fotomaterial zur Ausstellung erhältlich.
Weitere Informationen:
Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen
Dr. Ulrike Huhn
Tel. 0421/ 218 69 611
E-Mail ulrike.huhnprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de
www.forschungsstelle.uni-bremen.de