Motiviert durch die Erfolgsgeschichte des superdünnen „Wundermittels“ Graphen, das vor einigen Jahren mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet worden ist, entdecken Forscherinnen und Forscher in der Chemie und in der Physik heute immer neue, atomar dünne Materialien. Sie bestehen aus Gittern von Atomen, die nur wenig dicker sind als die einzelnen Atome selbst. Der Vorreiter Graphen setzt sich aus einer einzelnen Lage von Kohlenstoffatomen zusammen. Die ist zwar hervorragend für die Elektronik geeignet, nicht jedoch für optische Anwendungen. Nun gibt es neue atomar dünne Materialien, die sich für stark miniaturisierte und äußerst energieeffiziente optische Bauelemente eignen. Bemerkenswert ist dabei, wie einfach und kostengünstig die neuen Materialien hergestellt werden können: Sie lassen sich beispielsweise mit Klebefilm von sogenannten Volumenkristallen abziehen.
Vielfältige Einsatzmöglichkeiten
Eine zentrale Idee ist hierbei das Prinzip des „Lego-Baukastens“: Die Eigenschaften leuchtender und elektrisch leitender atomar dünner Materialien, wie beispielsweise Übergangsmetall-Dichalkogenide (TMDs) und Graphen, werden kombiniert, indem man sie direkt aufeinanderstapelt. Trotz losen Zusammenhalts weisen diese Strukturen eine enorme mechanische Stabilität auf. Die darin enthaltenen TMDs leuchten dabei nicht nur sehr gut, sie absorbieren auch Licht und können es in Strom umwandeln. Deshalb gibt es bereits erste praktische Anwendungen in sehr empfindlichen Sensoren. Denkbar ist zudem, sie in biegsamen Solarpanels zu verwenden oder in Handydisplays. Durch den Einsatz in stark miniaturisierten Lasern können neue Bauteile realisiert werden, die für das Highspeed-Internet der nächsten Generation benötigt werden. „Wir können mit diesen Materialien einen ganzen Bauelemente-Pool für Innovationen im Ingenieurswesen und in der Technik bereitstellen. Die Eigenschaften dieser atomdünnen Blättchen sind mit Blick auf den wachsenden Bedarf an erneuerbaren und effizienten Energiequellen höchst interessant“, erläutert Frank Jahnke, Professor für Theoretische Physik. Zusammen mit Dr. Matthias Florian und Dr. Alexander Steinhoff hat er die Untersuchungen an der Universität Bremen durchgeführt.
Atomphysik in 2D
Für Physiker bedeuten die atomar dünnen Schichten zugleich ein radikales Umdenken. Anders als in der herkömmlichen Atomphysik, die sich stets auf einen dreidimensionalen Raum bezieht, spielt sich hier alles in lediglich zwei Raumrichtungen ab. Möchte man die Schichten zum Leuchten bringen, müssen die Elektronen in den Atomen angeregt werden. Positive und negative Ladungen erzeugen sodann neue Verbundteilchen oder künstliche Atome, die sich jedoch nur in der Ebene des dünnen Netzes bewegen können. Physiker müssen jetzt eine zweidimensionale Atomphysik formulieren, die sie erst einmal vor zahlreiche Rätsel stellt. Insbesondere möchten sie die charakteristischen Spektrallinien der Teilchen verstehen, welche sie mit spektroskopischen Methoden ausmessen können – ähnlich wie bei der Untersuchung von Gasmolekülen in unserer Atmosphäre. „Diese Teilchenkomplexe in Kristallen sind zwar deutlich kurzlebiger als echte Atome und Moleküle, können aber in modernen ultraschnellen Experimenten sichtbar gemacht werden“, führt Nachwuchswissenschaftler Dr Alexander Steinhoff aus.
Spektralen Fingerabdruck der Materialien erforscht
So hat das Team der Universität Bremen in enger Kooperation mit Fachkollegen der Experimentalphysik aus Berlin und aus Houston/Texas Computer-Simulationen mit modernster Spektroskopie kombiniert, um den spektralen Fingerabdruck dieser Verbundteilchen zu erhalten. Sie haben dabei nachgewiesen, dass durch die innere Struktur der Vier-Teilchen-Komplexe neue Quantenzustände entstehen. Diese gehen über die bislang bekannten Gesetze der Atom- und Molekülphysik weit hinaus. Denn sie erzeugen eine reichhaltige spektrale Signatur.
Von der Grundlagenforschung zur Anwendung
Ihre Entdeckungen haben die Wissenschaftler jetzt in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Physics“ publiziert. Mit ihren Erkenntnissen tragen sie dazu dabei, Ordnung in den sogenannten Linienzoo der neuen Materialien zu bringen. Denn sie geben Kolleginnen und Kollegen in ihrem Forschungsfeld ein Rezept an die Hand, weitere Linien zu identifizieren. Für die Grundlagenforschung sind die Ergebnisse interessant, da sie über die übliche Analogie zwischen Festkörper- und Atomphysik weit hinausgehen. Aber auch die Anwendungsebene haben die Wissenschaftler fest im Blick: Als einen nächsten Schritt planen sie die Erstellung funktionsfähiger Prototypen solcher Bauteile.
Die Arbeit wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der Graduiertenschule „Quantum Mechanical Materials Modelling“ an der Universität Bremen gefördert. Der Artikel „Biexciton fine structure in monolayer transition metal dichalcogenides“ ist nachzulesen unter www.nature.com/articles/s41567-018-0282-x (DOI Nummer: doi.org/10.1038/s41567-018-0282-x).
Weitere Informationen:
Fragen beantwortet:
Prof. Dr. Frank Jahnke
Institut für Theoretische Physik
Universität Bremen
Tel.: +49 421 218-62050
E-Mail: jahnkeprotect me ?!itp.uni-bremenprotect me ?!.de