Nani Stelling studiert Anglistik und Biologie auf Lehramt. Zusammen mit ihren Kommilitonen hat sie sich in einem Seminar zum indigenen Dokumentarfilm Nordamerikas bei Kerstin Knopf auf das Festival vorbereitet. Anfänglich dachte sie, dass es um „Indianer und Eskimos“ gehen würde. „Meine stereotypen Vorstellungen und Klischees wurden vollständig korrigiert. Das Seminar hat meine Erwartungen weit übertroffen.“
Bittere Realität: Highway of Tears
Die Studierenden haben die Untertitel zu dem Film Highway of Tears erarbeitet. „Der Regisseur hat ihn in englischer Sprache gedreht und wir haben ihn ins Deutsche übersetzt“, erläutert Nani Stelling. „Der Film handelt von den dutzenden Frauen, die entlang des Highways 16 im Norden Britisch Kolumbiens verschwunden sind. Viele wurden getötet - die meisten von ihnen waren indigene Frauen. Das war kein Spielfilm, das geschieht dort wirklich.“ Bis heute sind in Kanada über ein tausend indigene Frauen vermisst oder ermordet, die meisten Opfer sexueller Verbrechen.
Höhepunkt des Seminares war der Besuch des nordamerikanischen Filmfestivals in Stuttgart. Hier stellen alle zwei Jahre indigene Filmemacherinnen und –macher ihre Filme über das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben in den Reservaten, urbanen Räumen und in der Arktis vor. Das Festival wird von der Universität Bremen als Kooperationspartner unterstützt.
Bremer Studierende wählen als besten Film SOL
Eine weitere Aufgabe galt der Filmkritik: „Zusammen mit Kerstin Knopf haben wir die Kriterien für die Filmbewertung entwickelt“, so die Studentin. „Als besten Film haben wir SOL ausgezeichnet. Darin geht es um einen jungen Inuit, der nach seiner Verhaftung tot in einer Polizeidienststelle einer abgelegenen Inuit-Gemeinde gefunden wurde. Die Einheimischen vermuten Mord, aber die Polizei geht von Selbstmord aus. Auch das ist dort bittere Realität.“
Viele der gezeigten Dokumentationen beleuchten die Region, von der behauptet wird, sie habe eine der höchsten Selbstmordraten von Jugendlichen weltweit.
„In sich zu ruhen wie die Älteste“
„So verwurzelt zu sein, so ursprünglich die Welt zu sehen und dabei so in sich zu ruhen wie „die Älteste“; das hat mich unglaublich fasziniert“, erzählt Nani Stelling über die Inuk Filmemacherin Madeline Ivalu, „Älteste“ ihrer Inuit-Gemeinde. Die Bremer Studentin hat sie auf dem Festival kennengelernt – neben vielen weiteren Künstlerinnen und Künstlern.
„Indigene Menschen sind Hüter jener Fähigkeiten, die wir schon lange vergessen haben“, meint sie. „Ich habe hier sehr viel mehr gelernt als in anderen Seminaren. Jetzt muss ich noch eine Hausarbeit darüber schreiben und es ist kaum zu glauben: ich freue mich darauf!“
Und was meint die Seminarleiterin dazu?
„Ich finde es wunderbar, dass unsere Studierenden die Chance haben, einen Einblick in das Leben der indigenen Völker zu bekommen, der frei von allen Klischees ist“, so Kerstin Knopf. „Deutschland ist noch immer stark von romantischen Schwärmereien über ‚Indianer‘ à la Karl May geprägt. ‚Indianer‘ sind zu Faschingskostümen, hölzernen Spielplatzfiguren und stereotypen historischen Kinderbuchfiguren reduziert. Dokumentar- und Spielfilme aus Nordamerika können diese Bilder von indigenen Menschen korrigieren. Sie zeigen uns aus ihrer Perspektive Geschichte und Gegenwart, Wissen und Sprachen, Schicksale und Probleme, Glück und Humor der verschiedenen indigenen Völker. Genau dies ermöglicht uns das Indianer-Inuit Filmfestival in Stuttgart."
Weitere Infos zum Festival:www.nordamerika-filmfestival.com