„Das hat mich total geflasht“, sagt sie heute. Hanna Deutschmann studiert Kulturwissenschaften und Germanistik und hat eine ungewöhnliche Bachelorarbeit geschrieben. Eigentlich sollte es eine wissenschaftliche Betrachtung über die „Drachendarstellungen in der Kinder-und Jugendliteratur als Indikator für transkulturelle Prozesse“ werden. „Ich liebe Drachen“ sagt Hanna Deutschmann und schiebt zum Beweis den linken Ärmel ihres türkisfarbenen Shirts hoch. Da schaut ein sorgfältig tätowiertes Exemplar heraus. Chinesisch inspiriert. Im Reich der Mitte war sie schon mal mit dem Unichor.
„Ein großes Geschenk“
Doch die Drachen mochten noch so heftig fauchen und Feuer speien, Hanna Deutschmann hat umdisponiert. Obwohl sie chorerfahren ist, musikalisch gebildet, bei der Carmina Burana mitgewirkt und einen a-capella-Popchor, die „Ukelalas“, gegründet hat, war das Mitsingfest für sie so etwas wie ein Erweckungserlebnis. „Was’n echten Bremer is“ wurde auf Anhieb ihr Lieblingslied. „Ich fühlte mich eingeladen, Bremerin zu sein“, sagt Hanna Deutschmann. Dabei ist sie gar nicht an der Weser geboren und aufgewachsen, sondern im Christkinddorf Himmelpforten bei Stade. Hat das Lied etwas mit ihr gemacht? Hat das Singen in großer Gemeinschaft etwas verändert? Am 3. Juni 2017 schrieb sie in ihr Tagebuch: „Bremen so frei“ sei ein „großes Geschenk“.
Persönliche Erfahrungen analysiert
Beim zweiten Mitsingfest, am 1. Juni 2018, schaute Hanna Deutschmann genauer hin. Sie machte sich Aufzeichnungen, fertigte Protokolle an, sprach mit Chormitgliedern und mit Universitätsmusikdirektorin Susanne Gläß, die die Massen vor dem Rathaus dirigierte. Längst war in der Studentin der Entschluss gereift: „Bremen so frei“ wird Thema meiner Bachelorarbeit. Nun liegt die Arbeit vor. Dr. Jan Oberg vom Institut für Ethnologie ist ihr Erstbetreuer. „Bremen so frei – für alle? Wie das Fest in 11 Liedern helfen kann, die Ortsbindung von Neubremerinnen und Neubremern zu stärken“, ist der genaue Titel. „Ich habe einen autoethnografischen Ansatz gewählt“, erläutert die 29-Jährige. Sie beschreibt persönliche Erfahrungen und analysiert sie.
Warum macht Singen glücklich?
Wie das Wissenschaftlerinnen so machen, hat Hanna Deutschmann ihre Beobachtungen und Befragungen mit Theorien unterlegt. So ist der Begriff der Ortsbindung als Mensch-Raum-Beziehung von Professor Reuber aus Münster für ihre theoretischen Begründungen ein Anker. Bei Professor Gunter Kreutz aus Oldenburg fand sie Erklärungen, warum Singen glücklich macht. Die Ausschüttung des „Sozial-Hormons“ Oxytocin, die durch das Singen in Gemeinschaft angekurbelt wird, spielt eine wichtige Rolle dabei. Ihre Chorkollegin Ana Paola Loose Martinez de Castro sagt im Interview, sie sei von der Textstelle „Was’n echten Bremer is, der ist vielleicht ganz fern von hier gebor’n…“ ermutigt worden, sich als Bremerin zu fühlen. Die Studentin kommt ursprünglich aus Mexiko. „Ja, ich bin Mexikanerin und Bremerin“, sagt sie. Letztendlich ist bei der Arbeit herausgekommen: „Das Mitsingfest ,Bremen so frei‘ kann tatsächlich eine Auswirkung auf die Ortsbindung von Neubremerinnen und Neubremern haben.“
Viel über Geschichte gelernt
Hanna Deutschmann hat ihrer Bachelorarbeit eine ungewöhnliche Verpackung gegeben. Sie sieht aus wie eine Hochglanz-Zeitschrift. Mit zahlreichen Fotos von den beiden Musikfesten und einem munteren Layout. Das hat sie selbst mit dem Programm InDesign erstellt. Nun freut sie sich auf das nächste Fest und die elf Lieder, die sie mit dem Chor und vielen weiteren Menschen auf dem Bremer Marktplatz im vierstimmigen Satz singen wird. „Ich habe so ganz nebenbei davon profitiert und viel über die Bremer Geschichte gelernt“, sagt sie. Historische Persönlichkeiten wie Johann Smidt oder Lüder von Bentheim sind für sie keine Unbekannten mehr. Auch die Geschichte, wie Bremen das Linzer Diplom erhielt, ist ihr nun vertraut.
Und darauf freut sich Hanna Deutschmann:
Das Mitsingfest für alle, die Bremen lieben: „Bremen so frei – ein Fest in elf Liedern“ findet auch dieses Jahr am Sonnabend, 1. Juni, um 10.30 Uhr, auf dem Bremer Marktplatz statt. Noten können unter www.bremen-so-frei.de im Internet heruntergeladen werden. Alle Interessierten sind zu einem öffentlichen Workshop unter der Leitung von Universitätsmusikdirektorin Susanne Gläß in der Universität Bremen im GW1-Hörsaal (gegenüber dem Universum) am Sonntag, 26. Mai, von 14 bis 17 Uhr eingeladen. Dabei werden die Lieder einstimmig gelernt. Die Teilnahme ist kostenlos. Notenkenntnisse sind nicht erforderlich.
Fragen beantwortet:
Hanna Deutschmann
Chor der Universität Bremen
E-Mail: han_deu@uni-bremen.de