So unterschiedlich die europäischen Länder, so unterschiedlich sind auch ihre Mietpraktiken: In England unterzeichnet man beispielsweise einen Mietvertrag für meist nur sechs Monate, eine Verlängerung liegt im Ermessen des Vermieters. In Osteuropa wird das offizielle Mietrecht wenig genutzt, die meisten Wohnungen werden ohne Verträge unter der Hand vergeben. In Schweden sind hohe illegale Ablösesummen von bis zu 100.000 Euro für günstige Altverträge verbreitet. Zu diesen Erkenntnissen kommt jetzt eine Studie des Zentrums für Europäische Rechtspolitik (ZERP) der Universität Bremen. Unter Bremer Führung hat das Konsortium „Tenlaw“ (Tenancy Law and Housing Policy in multi-level Europe), bestehend aus Forschungsinstituten aus England, den Niederlanden, Schweden, Italien, Spanien, Slowenien, Ungarn, Polen und Estland, über die vergangenen fünf Jahre Wohnungspolitik und Mietrecht in allen EU-Staaten und weiteren Ländern (Türkei, Japan und Norwegen) untersucht. Finanziert wurde dieses Großprojekt von der Europäischen Kommission nach dem 7. Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung.
„Wild-West-Verhältnisse“ auf den Wohnungsmärkten
Obwohl nationale Mietrechte das Leben von ungefähr einem Drittel der europäischen Bürger existentiell betreffen, wurden diese noch nie aus vergleichender und europäischer Perspektive analysiert. Für Deutschland ist der Vergleich besonders spannend, da hier die Hälfte der Bevölkerung in Mietwohnungen lebt. „Wir haben in der Studie den ersten europäischen Atlas zum nationalen Mietrecht zusammengestellt“, erklärt Professor Christoph Schmid vom ZERP der Uni Bremen. „Und die Ergebnisse sind verblüffend. Jedes Land hat eigene Regeln und Praktiken im Mietrecht entwickelt – teils legale, teils illegale. Es herrschen vielerorts „Wild-West-Verhältnisse“ auf den Wohnungsmärkten.“
Der Schwarzmarkt in Osteuropa blüht
Generell sind die europäischen Mietrechte stark politikabhängig und inhaltlich unterschiedlich ausgerichtet: Neoliberale Regelungen fast ohne Mieterschutz stehen an der Seite von stark sozial-interventionistischen Regimen, unter denen der Mieter eine Quasi-Eigentümerstellung hat. Zudem werden nationale Mietrechte von europäischen Rahmenbedingungen immer stärker beeinflusst. „In vielen osteuropäischen Ländern hat der Schwarzmarkt für Wohnungen bedrohliche Ausmaße angenommen, ohne Bestechungen und Beziehungen ist hier kaum etwas zu machen“, so Schmid weiter. „Bei uns ist das Mietrecht dagegen trotz aktueller Konflikte wie bei der Mietpreisbremse verhältnismäßig ausgewogen, und Streitigkeiten verlaufen meist in rechtlichen Bahnen: In Deutschland gibt es mehr Gerichtsverfahren zum Mietrecht als in allen europäischen Ländern zusammen.“
Eine Harmonisierung der Mietrechte ist angesichts zu unterschiedlicher wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse in den EU-Staaten weder wünschenswert noch realistisch, so die Studie. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen eher eine von der EU vermittelte Orientierung an nationalen „best practice“ Beispielen im Mietrecht, die auf ein regulatives Gleichgewicht zwischen Mieter- und Vermieterseite unter Einbeziehung öffentlicher Interessen abzielen.
Länderberichte online abrufbar
Die Ergebnisse des Projekts sind in 32 englischsprachigen Länderberichten sowie 12 vergleichenden Berichten dokumentiert. Alle Ergebnisse sind auf der Projektwebsite www.tenlaw.uni-bremen.de kostenfrei abrufbar. Für Nicht-Juristen besonders interessant ist ein Praxisführer zum Mietrecht aller EU-Staaten („My rights as tenant in the EU“).
„Tenlaw“ erreichte bei einer Auswertung der EU-Kommission in punkto „social impact“ einen Spitzenplatz unter den sozialwissenschaftlichen Projekten des 6. und 7. EU-Rahmenprogramms. Auf Initiative des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit wurde „Tenlaw“ vor kurzem als deutscher Beitrag zur Habitat III-Konferenz der Vereinten Nationen in Quito/Ecuador vorgestellt.
Weitere Informationen:
Universität Bremen
Fachbereich Rechtswissenschaften
Zentrum für Europäische Rechtspolitik (ZERP)
Prof.Dr. Christoph U. Schmid, Ph.D.
Tel.: +49 421 218-66200
E-Mail: cschmidprotect me ?!uni-bremenprotect me ?!.de