Völkerrechtlerin Dana Schmalz von der Universität Bremen beschreibt die momentane Lage: „Aktuell erleben wir Debatten bezüglich der Rettung von Menschen im Mittelmeer, die überwiegend aus Libyen mit Booten losfahren und Schutz in Europa suchen. Immer wieder tauchen dabei folgende Fragen auf: Was dürfen Staaten, welche Pflichten haben Staaten? Hier kommen zu dem Seerecht Regeln aus Menschenrechtsabkommen und aus dem internationalen Flüchtlingsrecht.“ Ferner gehe es um die Rechte ziviler Seenotretter, wie im Fall der Sea-Watch 3. Hier treffe internationales Recht auf das nationale Recht von Küstenstaaten, in diesem Fall von Italien.
Seenotrettung ist lang anerkannte Pflicht
„Menschen aus Seenot zu retten, ist eine rechtlich lang anerkannte Pflicht“, sagt Schmalz. Im Völkervertragsrecht ist sie über Artikel 98 Absatz 1 des Seerechtsübereinkommens verankert. Ferner gelte die Pflicht zur Seenotrettung völkergewohnheitsrechtlich.
„Die Pflicht zur Seenotrettung umfasst die Verantwortung, die Geretteten an einen sicheren Ort zu bringen, an dem sie nicht weiter in Gefahr sind“, betont Schmalz. Libyen sei kein solcher Ort. Zahlreiche Berichte hätten dargelegt, dass Migrantinnen und Migranten dort unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten werden.
Menschen haben das Recht, Libyen zu verlassen
Hochproblematisch sind aus ihrer Sicht sogenannte pull-backs, bei denen die libysche Küstenwache Migrantinnen und Migranten nach Libyen zurückholt. Das Recht, jedes Land zu verlassen, ist in Artikel 12 des Zivilpakts der Vereinten Nationen garantiert.
Schwieriger ist die Frage, wo die Geretteten hingebracht werden dürfen. Mit der Verpflichtung zur Seenotrettung korrespondiere keine unmittelbare völkerrechtliche Aufnahmeverpflichtung der Küstenstaaten, führt Schmalz aus. Dabei müsse ein sicherer Ort nicht immer der nächste Hafen sein. Das völkergewohnheitsrechtliche Nothafenrecht bestehe nur, sofern das Schiff selbst sich in unmittelbarer Not befindet. „Deshalb warten momentan zivile Seenotrettungsschiffe oft tagelang auf eine Erlaubnis, einen Hafen anzulaufen – politisch ein Armutszeugnis“.
Europäische Regelung überfällig
In der Europäischen Union treffen die Fragen der Seenotrettung auf die der Verantwortungsteilung zwischen den Mitgliedsstaaten. Nach der Dublin-Verordnung ist im Regelfall derjenige Staat zuständig, in dem eine Person zuerst „irregulär" in die EU einreist. Ganz überwiegend sind das die Küstenstaaten Italien, Griechenland und Spanien. Dana Schmalz weist darauf hin, dass sich die Dublin-Verordnung hier auch anders lesen ließe: „Ist es eigentlich eine irreguläre Einreise im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Dublin-Verordnung, wenn Schutzsuchende gerettet und an Land gebracht werden?“ Die Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs Eleanor Sharpston habe diese Frage bereits einmal aufgeworfen.
Doch Abhilfe schaffen müsse vorrangig nicht die Justiz, sondern die Politik. Es gab es immer wieder Bemühungen, die Dublin-Verordnung zu reformieren, um die Verantwortung gerechter – und damit auch praktikabler – zwischen den Mitgliedsstaaten aufzuteilen. „Die Bemühungen einer umfassenden Reform sind vorerst gescheitert. Es ist aber untragbar, dass die fehlende europäische Einigung zu Lasten der Schutzsuchenden geht. Die aktuelle Lage ist ein Desaster.“ Auch ohne eine Reform der Dublin-Verordnung müssen Mitgliedsstaaten sich auf einen gemeinsamen Mechanismus einigen, so dass sichergestellt sei, dass aus Seenot Gerettete unverzüglich an Land gebracht werden können. Es gehe darum anzuerkennen, dass dies eine gemeinsame europäische Verantwortung ist. Die am Montag in Paris getroffene Einigung hält Schmalz daher für einen Schritt in die richtige Richtung.
Dana Schmalz ist Vertretungsprofessorin für Öffentliches Recht an der Universität Bremen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Grundlagen des Rechts, Völkerrecht und insbesondere das internationale Flüchtlingsrecht.
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