Dr. Bertin Nyemb, ein freundlicher Mann in fröhlich-buntem Hemd, erscheint superpünktlich zum BUS-Gesprächstermin. „Es gibt deutsche Werte, die wir in meinem Land teilen können“, sagt der Germanist aus Kamerun. „Wir müssen die deutsche Pünktlichkeit bei uns umsetzen, das dauernde Zuspätkommen ist eine Bremse für unsere Entwicklung.“ Und er nennt mit traurigem Ernst ein Beispiel: „Wie viele Kinder müssen sterben, weil der Arzt nicht an seinem Platz ist.“
Interkulturelle Lehrpraxis in Afrika
„Interkulturalität“ ist das Fahnenwort für den Germanisten, der 2007 an der Universität Bremen promoviert wurde und seitdem jährlich zu einem wissenschaftlichen Besuch an die Weser zurückkehrt – sechs Stunden Flug bis Paris und dann weiter zum Airport Bremen. Schon in seiner Doktorarbeit, die er bei Professor Gert Sautermeister schrieb, hat er sich mit Heterogenität, Verschiedensein und Außenseitertum beschäftigt. Zwei Romane und zwei Erzählungen Thomas Manns, darunter „Königliche Hoheit“ und "Tonio Kröger" hat er damals literaturwissenschaftlich untersucht. Der Alumnus, der sich als „Auslandsgermanist“ bezeichnet, ist diesmal für drei Wochen im Fachbereich 10 auf Einladung von Professor Axel Dunker zu Gast. Er unterrichtet ein Blockseminar, in dem er Ansätze zur interkulturellen Lehrpraxis in der afrikanischen Germanistik mit seinen Studierenden diskutiert. Der Gastdozent freut sich, dass die 15 Teilnehmer aus ganz verschiedenen Disziplinen kommen und viele von ihnen durch Praktika oder Auslandssemester bereits Afrika-Erfahrungen mitbringen.
Das Fühlen und Denken der Anderen respektieren
Bertin Nyemb ist sehr gern in Bremen. „Ich habe meine Frau hier kennengelernt, unsere beiden Kinder Lisa und Junior sind in Bremen geboren“, sagt er. Die Verbundenheit bleibe immer bestehen, viele Freunde warten auf seine jährlichen Besuche. In der Gruppe der Kameruner gehören Nyemb und seine Frau zu den wenigen, die in ihr Heimatland zurückgekehrt sind, um dort zu lehren und die Dinge zum Besseren zu wenden. „Ich kann es all denen nicht verdenken, die nach dem Studium in Deutschland geblieben sind“, sagt er ernst. Er habe gewusst, dass in dem zentralafrikanischen Heimatland eine schwere Aufgabe auf ihn wartet. „Aufklärungsarbeit“ nennt der Germanist das, was er mit seinen Studierenden an der „Ecole Normale Supérieure“ in der Hauptstadt Jaunde macht. Er bildet Deutschlehrerinnen und -lehrer aus. Dabei gibt die Literatur wichtige Hinweise, wie man Kompetenzen entwickeln kann, um das Denken und Fühlen der Anderen zu respektieren und zu würdigen.
Enorme Vielfalt von Sprachen und Kulturen
Das sei in Kamerun bitter notwendig, sagt der Germanist. Das Land sei zwar reich an natürlichen Ressourcen und Bodenschätzen, den Menschen könnte es gut gehen. Doch stattdessen herrsche Uneinigkeit. Entwicklungspotenziale blieben ungenutzt. „Ich habe viel mit ethnischen Problemen zu tun“, sagt der Alumnus. „Bei uns leben mehr als 200 Volksgruppen mit einer enormen Vielfalt an Sprachen und Kulturen“. Konflikte seien an der Tagesordnung. Viele Menschen seien bitterarm. „Oft sitzen hungrige Studenten in meinen Vorlesungen“, sagt er bekümmert. Der Staat hat die Bildungsausgaben massiv heruntergefahren. Nyemb wird einen Koffer voll Bücher für seine Studierenden mit nach Hause wuchten, denn es fehlt an der Universität am Nötigsten.
Germanistik als Entwicklungswissenschaft
Neben den ethnischen Konflikten ist in Kamerun das Thema Korruption, wie in vielen anderen afrikanischen Staaten auch, von höchster Aktualität. „Ich behandle mit meinen Studierenden Max von der Grüns ,Etwas außerhalb der Legalität`, sagt er. Darin geht es um einen Bestechungsversuch, dem die Hauptfigur widersteht. Bertin Nyemb vertritt die These von der Germanistik als „Entwicklungswissenschaft“, wie sie der afrikanische Germanist Alioune Sow, formuliert hat. Und ganz erstaunlich: Seine Waffe im Kampf um Menschenrechte, Würde und die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Kamerun – ist die deutsche Literatur.
„Kinder sind ein Geschenk Gottes“
„Traditionen müssen in Frage gestellt werden“, fordert er. Die Familien hätten bis zu zehn Kinder, um die sie sich oft gar nicht kümmern, geschweige denn, sie ausreichend ernähren könnten. „Kinder sind ein Geschenk Gottes“, sei die verbreitete Meinung in Kamerun. Der 42-Jährige setzt sich auch für Familienplanung ein. Er erntet oft Unverständnis, weil er nur zwei Kinder hat. Sogar seine Studenten diskutieren mit ihm darüber.
Kooperationen anschieben
Bei seinem aktuellen Besuch will der Gastdozent Projekte und Kooperationen zwischen der Universität Bremen und der Universität in Jaunde anschieben. Einen Schüleraustausch hat er bereits initiiert, und der läuft immer noch erfolgreich. Bremen bleibt für Bertin Nyemb immer ein zweites Zuhause. Wenn seine Kinder in der Schule gefragt werden, „Welches ist dein Heimatdorf?“, dann sagen sie: „Bremen“.
E-Mail: bertinnyembprotect me ?!yahooprotect me ?!.de